Ein Beitrag von Tim Köhler
Tim Köhler ist Kulturwissenschaftler und Historiker. Er beschäftigt sich mit europäischer Zeitgeschichte, Geschichts- und Erinnerungskultur und arbeitet als Public Historian. Die Vermittlung kulturellen Erbes über Alltags- und Regionalgeschichte ist ihm ein Anliegen, z.Z. sind das Sport in Cottbus und Industriekultur in Thüringen und Sachsen. Für ScottyScout hat er als Projektmanager und Redakteur den Reiseführer »Orte der Industriekultur in Thüringen« als Homepage und Buch umgesetzt.

Geschichte(n) als Instrument im Stadt- und Regionalmarketing

»History sells« – nach der Entdeckung der Geschichte für die Vermarktung von Städten und Regionen, greifen Marketingverantwortliche heute gerne auch auf die schönen Töchter und großen Söhne zurück. Ob Selbstmörder oder Erfinder, Künstlerin und Muse, kein Klischee ist zu platt und die Unbekanntheit der Person ja auch ein prima Argument für ein »jetzt erst recht«. Das Problem: Es interessiert außerhalb des eigenen Ortes nur wenige, mit Ausnahme sehr kleiner und hoch spezialisierter Kreise wie Literatur- und Kulturgesellschaften, Teilnehmer von Bildungsfahrten und Kunstfreunde. Kulturtourismus ist zwar schwer angesagt, wie Studien belegen, aber mit dem beschriebenen Zuschnitt ist die eigene Bekanntheit kaum zu steigern. Im Folgenden nehmen wir eine weiterführende Art von Geschichtsmarketing, oder auch History Marketing, unter die Lupe, eine wie wir denken, erfolgversprechende und zukunftsweisende.

Geschichte schafft Identität nach innen und Attraktion nach außen. Als interessant haben sich in letzter Zeit regionenübergreifende Themenjahre gezeigt – Reformation500 gleich als Dekade, 400 Jahre Auftakt des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 2018. 2019 folgen beispielsweise in Brandenburg Fontane200 oder Bauhaus100 dann nahezu bundesweit. Zwar haben solche Jubiläen gelegentlich eine so große Dimension, dass man als einzelne Stadt oder Region droht, darin unterzugehen, dennoch lohnen sich der Blick nach »oben« auf die Ebene der Ausrichter und die Teilhabe an derartigen Groß-Events, denn Fördergelder gibt es in der Regel reichlich und die zentrale PR-Arbeit ist nicht zu unterschätzen: Die potentiellen Besucher sind bereits informiert und sensibilisiert. Fehlt noch der eigene Beitrag.

In diesem Artikel zum History Marketing ziehen wir als best practice das europäische Kulturerbejahr 2018 Sharing Heritage heran. Für Europa recht breit aufgestellt, wurde in Thüringen unter diesem thematischen und organisatorischen Dach das »Jahr der Industriekultur und sozialen Bewegungen« ausgerufen. Eine zentrale Leitausstellung und zahllose dezentrale Vorhaben füllen das Themenjahr. ScottyScout beteiligte sich als Lieferant von spezifischem Content in Form redaktionell betreuter Texte von einer Vielzahl von Autoren für die Homepage der Thüringischen Staatskanzlei zum Themenjahr und veröffentlichte die Texte als Reisebuchverlag weiterführend in einem Reiseführer zur Thüringer Industriekultur als Printprodukt für den Buchhandel.

Das Problem der Themenjahre: Hochwertige Inhalte mit Unterhaltungswert in relativ kurzer Zeit schaffen

Wie eingangs beschrieben, besteht die Gefahr der schönen Töchter und großen Söhne darin, dass sie zu uninteressant für den auswärtigen Besucher erscheinen. Das muss nicht sein – es kommt darauf an, die Themen und Geschichte, die sich mit diesen Personen verbinden, unterhaltsam und zielgruppengemäß aufzubereiten und diese zudem an die Lesegewohnheiten und (neuen) Lesegeräte der potentiellen Besucher anzupassen. Es geht also um Inhalte ebenso wie um die geeignete technologische Umgebung.

Kleine Destinationen sollten hier schrittweise vorgehen – und zunächst die passenden Inhalte festlegen:

  • Welche Themenjahre stehen an und werden auch von größeren Institutionen aufgegriffen?
  • Wie kann eine Kooperation meiner Stadt beziehungsweise Region mit diesen Institutionen aussehen?
  • Welche Ressourcen habe ich, um meinen Teil zu stemmen?

Egal ob Homepage, Ausstellung, Volksfest oder Sachbuch – für die inhaltliche Ausgestaltung brauchen Sie Partner, was neben dem Stadtmuseum oder dem Heimatverein auch externe Dienstleister sein können. Dies betrifft insbesondere Inhalte in Bereichen, in denen eine Destination nicht über ausreichende Ressourcen oder interne Kompetenzen verfügt, wie die redaktionelle Erfahrung und der wissenschaftlich-publizistische Sachverstand, der gerade an der Schnittstelle von Stadtmarketing, Tourismuswerbung mit Geschichtsschreibung und Unterhaltung, gefragt ist. So verzahnen sich Glaubwürdigkeit und Professionalität .

Kurze und authentische Texte zu spezifischen (Geschichts-)Themen, wie sie ScottyScout auf seinen Blogs mit lokalen Autoren sammelt, können zumeist nicht in den kurzen Projektfristen der Themenjahre in Eigenleistung realisiert werden, sind aber immer öfter gerade für die Nutzung im Internet unabdingbar.

Inhalte passend zum jeweiligen Kanal aufbereiten

In einem zweiten Schritt müssen dann Gedanken zur technologischen Verpackung und Aufbereitung folgen:

  • Über welche Kanäle will ich die Inhalte kommunizieren?
  • Wie kann ich die mobile Verfügbarkeit und barrierefreie Zugänge zu den Inhalten garantieren?
  • Wie kann ich die Inhalte suchmaschinentechnisch auch über das jeweilige Themenjahr hinaus für meine Destination nutzbar machen?

Jeder Kanal hat seine eigenen Gesetze – das wird spätestens dann bewusst, wenn man sich für jeden Kanal an die Neugestaltung des Text- und Bildmaterials macht und dann das jeweilige Medium doch wieder nicht das eigentlich geplante Titelbild anzeigt. Hier ist einiges an Spezialwissen erforderlich – von Suchmaschinenoptimierung (SEO) über Aufbereitung von Inhalten für Social Media Marketing, Ausrichtung auf spezielle Zielgruppen (wer will sein Geld schon mit der Gießkanne verteilen?!) bis hin zur mobilen Verfügbarkeit (Responsiveness). Der Spagat für eine Destination besteht darin, einerseits interne Kompetenzen dafür aufzubauen, andererseits einzuschätzen, wann es ökonomischer ist, z. B. saisonbegleitend für eine spezielle Themenkampagne mit herausragenden Geschichten und authentischen Stimmen aus der eigenen Region auf die Zusammenarbeit mit einem auf History-Marketing und Storytelling spezialisiertem Dienstleister zu setzen. Ist die richtige Balance zwischen internen Möglichkeiten und externen Ergänzungen gefunden, kann das nächste Themenjahr kommen.

Weitere Informationen dazu, wie so eine externe Begleitung aussehen kann, finden Sie hier »

Beispiel digitaler Reiseführer Industriekultur in Thüringen und zum gedruckten Buch »

Link zur Themenjahrseite »Orte der Industriekultur und sozialer Bewegungen 2018 in Thüringen«