Bewundernd stehe ich vor einer ehemaligen Bushaltestelle in Binz. Das kühn geschwungene Dach ragt heraus, fast scheint es zu schweben. Diese elegante Konstruktion hat der für seine Schalenbautechnik bekannte Architekt Ulrich Müther entworfen. Auf der ganzen Insel finden sich noch einige seiner Bauwerke, denn Müther, der in Binz auf Rügen geboren und aufgewachsen ist, pflegte Zeit seines Lebens eine innige Beziehung zu seiner Heimatinsel.

Obwohl ihm von der DDR-Führung ein Studium der Architektur verwehrt wurde, fand der findige Müther Mittel und Wege: Erst lernte er Zimmermann und Bauingenieur, bevor er in das familieneigene Bauunternehmen eintrat. Schon früh begann er, mit den Schalenbautechniken zu experimentieren. Dabei nutzte der leidenschaftliche Segler die Formensprache seiner Heimat und goss Muscheln, Wellen und Segel in Beton. Neben den baulichen Möglichkeiten zeichnete sich die Technik durch einen geringen Materialverbrauch und hohe Arbeitsintensität aus – perfekt für die DDR-Wirtschaft. So schuf Müther auf Rügen so bekannte Bauwerke wie den Rettungsturm II in Binz, die Kurmuschel in Sassnitz und das Inselparadies in Baabe. Die DDR-Regierung war erfreut, man nutzte Müthers »Sonderbauten«, um die allgegenwärtige Blockbauweise aufzulockern. Und der Bauherr brachte Devisen ins Land. Für die Kuppel eines Planetariums in Wolfsburg bekam die DDR 10.000 VW Golf. In Jordanien baute er eine Moschee, in Finnland ein Planetarium, in Havanna eine Radrennbahn. Dabei begleitete Müther seine Projekte immer höchst selbst. Einer seiner Mitarbeiter beschreibt sehr schön, dass auch feine Lackschuhe und teure Anzüge ihn nicht davon abhalten konnten, im Baustellendreck die Arbeiten zu beaufsichtigen.

Nach der Wende ging Müthers Betrieb bankrott. Im Westen war Arbeitskraft teuer und die Schalenbautechnik nicht mehr konkurrenzfähig. Bis der Architekt 2007 in Binz starb, hatte er den Verfall und Abriss vieler seiner Gebäude erleben müssen. Einige hatte er noch in Eigenregie saniert. Wer heute auf Rügen nach Müther-Bauten Ausschau hält, findet nur noch einen Bruchteil der eigentlichen Zahl. Schade, denn Ulrich Müther gilt mittlerweile als Kultfigur der architektonischen Moderne. Nicht nur ich zähle zu den Bewunderern seiner eleganten Konstruktionen.

Müther-Bauwerke auf Rügen sind zum Beispiel die Kurmuschel in Sassnitz, die Ostseeperle in Glowe, eine Bushaltestelle in Binz und in Buschvitz, das Inselparadies in Baabe und der Rettungsturm II in Binz. Anreise: Mit der Schmalspurbahn Rasender Roland nach Binz oder den Buslinien 20 und 23 nach Binz-Ort.

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Ulrich Müthers Leichtigkeit 54.399377, 13.620268 Binz, Deutschland (Routenplaner)