Wer reist, ist ein wenig auf der Suche nach dem Geist eines Ortes – dem Genius loci. Man muss kein Goethe sein, um Stimmungen an einem Ort zu spüren. Für mich ist Ahrenshoop so ein Ort der Stimmungen, der mich immer wieder anzieht. Zu jeder Jahreszeit und es wird nie langweilig.
Den Malerinnen und Malern, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert im einstigen Fischerdorf niederließen, mag es ebenso ergangen sein. Zwischen Ostsee und Bodden erspürten sie auf sandigen Wegen, an reetgedeckten Katen, in Landschaften voller weiter Himmel, glitzernder Meereswogen und in von Sonne und Wind gegerbten Gesichtern Junger und Alter nach Ursprünglichkeit im Kontrast zur modernen Welt der Großstädte und Fabriken. Indem sie hier malten, sollten sie das Dorf verändern und Anteil daran nehmen, es zu dem einzigartigen und faszinierenden Ostseebadeort von heute werden zu lassen. Ob sie sich dessen bewusst waren? Im Kunstmuseum Ahrenshoop sind zumindest die in Kunst verwandelten Gefühle zu betrachten. Die Bilder haben meinen Blick auf dieses Stückcken Erde verändert.
Vom Museum aus gehe ich zwischen den reetgedeckten Ferienhäusern entlang und stehe bald am Hohen Ufer. Dem Auge bietet sich ein unvergleichlicher Blick auf diese wandelbare Landschaft. Steile Abbruchkanten verraten, wie kraftvoll das Meer wüten kann. Bei guter Sicht zeigt sich der Leuchtturm am Darßer Ort. Am Rand der Dünen stehen Windflüchter. Mächtige Bäume, hochaufragend, flüchtend vor dem Wind, wachsen abgewandt, doch harren aus im unaufhörlichen Wehen. In der sommerlichen Brise tanzen sie fröhlich. Silbergraue Blätter des Sanddorns beleben die dichten Hecken am Wegesrand. Sein tiefreichendes Wurzelnetz verankert den Strauch fest im sandigen Küstenboden. Sind sie reif, leuchten seine orangefarbenen, prallen Früchte wie Schmuckstücke. Alles ist anders als auf den Gemälden und doch gleich: das Meer, der Strand, die Menschen.
Wenn der herbstliche Abend herniedersinkt, wandeln einsame Gestalten am Strand entlang. Das Meer ist Dunkelblau bis Grau und über den Himmel ziehen tiefe Wolken, ab und an erfasst die Wanderer eine Böe. Der Wind zerzaust die Gedanken, trägt Wortfetzen. Als wenn die Bilder der Künstler zum Leben erwachten und all die Geschichten der Fischer, Schiffer, Frauen und Kinder vom Küstenwind gesäuselt würden.
Gut zu wissen
Künstlerort 18347 Ahrenshoop, www.ostseebad-ahrenshoop.de, Anreise: Haltestelle Ahrenshoop Mitte, Bus (Linie 210) vom Bahnhof, Ribnitz-Damgarten.
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