von Gastautorin Gabriele Hattwich

Vor längerer Zeit habe ich in einem Album mit Familienfotos ein Bild meines Großvaters gefunden: Er steht mit langen schwarzen Hosen und weißem Hemd bekleidet auf der alten Seebrücke in Sellin in der Sonne. Hinter ihm ein Zeitungskiosk. Für den Scherl Verlag Berlin hat er diesen Kiosk auf der Seebrücke betrieben und jeden Sommer in Sellin verbracht. Das war Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Seit ich das weiß, fahre auch ich jeden Sommer einige Tage auf die Insel Rügen. Genau wie er damals, gehe ich heute die Prachtstraße von Sellin hinauf, an vielen inzwischen restaurierten und renovierten Strandvillen vorbei, bis ich an der großen Treppe stehen bleibe. Der Anblick lässt mich wie in jedem Jahr kurz den Atem anhalten, tief unten liegt der feine Sandstrand und die leuchtend weiße Seebrücke thront auf den blauen Weiten des Meeres.

Die erste Selliner Landungsbrücke wurde 1906 eingeweiht. Über die Jahre wurde sie durch Stürme und Eis immer wieder zerstört und wegen Vernachlässigung der Bausubstanz schließlich 1978 völlig abgerissen. Seit 1998 nach historischem Vorbild im Baustil der Bäderarchitektur wieder aufgebaut, ist sie nun Hauptattraktion und Wahrzeichen des Seebades Sellin.

Ich steige die große Treppe hinab, deren steile Stufen mich schließlich vom Hochufer hinunter zur Seebrücke und zum Strand führen. In meiner Hand halte ich das alte Foto. Es zeigt meinen Großvater vor seinem Zeitungsladen, der in den Sommermonaten jeden Morgen für die Urlauber geöffnet wurde. Die vielen Berliner Gäste konnten sich bei ihm »Die Woche«, »Die Gartenlaube« oder den »Berliner Lokalanzeiger« kaufen und mit dieser Lektüre ausgestattet einen erholsamen Tag im Strandkorb verbringen.

Wie vor vielen Jahrzehnten herrscht auch heute auf der Seebrücke ein reger Betrieb. Ich verabschiede mich gedanklich aus der Zeit meiner Großeltern, setze mich an einen der freien Tische auf der Sonnenterrasse, bestelle mir einen großen bunten Eisbecher und wende mich dem heutigen fröhlichen Treiben der Urlauber zu. Eine frische Sommerbrise weht und ich nehme mir vor, einmal weit auf die Ostsee hinaus zu spazieren auf den hölzernen Planken der Seebrücke.

Gut zu wissen

Seebrücke Sellin, Seebrücke 1, 18586 Ostseebad Sellin, www.seebrueckesellin.de, Tel. +49 (0)38303 929600. Anreise: Mit der Schmalspurbahn Rasender Roland bis Sellin-Bahnhof und zu Fuß weiter, mit den Buslinien 20 und 24 bis Sellin-Granitzer Straße oder mit dem Schiff bis Sellin-Seebrücke.

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Familiengeschichten auf der Seebrücke in Sellin 54.383157, 13.698494 Seebrücke 1, 18586, Sellin, Deutschland (Routenplaner)